Finanzgipfel im Landtag: Bürgermeister und Landräte rechnen mit Freistaat ab
Es war eine zweistündige Abrechnung der sächsischen Kommunen mit der Finanzpolitik des Freistaates und des Bundes, die Städte und Gemeinden sehenden Auges in die Knie zwingt. Die Enquetekommission zur „finanziellen Lage der Kommunen“ hörte am Montagmorgen die Berichte von neun (Ober)bürgermeistern, Finanzbürgermeistern und zwei Landratsvertretern, die ein düsteres Bild der Zukunft malten.
Alle waren sich einig: Die Finanzprognosen des sächsischen Finanzministeriums seien „Schönmalerei“ und haben wenig mit der Wirklichkeit auf kommunaler Ebene zutun. „Wir werden dieses Jahr in den Kernhaushalten der sächsischen Kommunen die 1 Milliarde Euro Schulden brechen. Was mich umtreibt und ärgert, dass unsere Nöte trotz klarer Belege und Hinweise im Landtag und der Staatsregierung nicht ernsthaft aufgenommen werden. Die Menschen vor Ort und wir als Verantwortliche vor Ort werden mit vielen Problemen allein gelassen“, so Bischofswerdas OB Holm Große (parteilos).
Auch Chemnitz OB Sven Schulze teilte aus: „Wir finden in den Ministerien Entscheidungsträger vor, die offenbar mit der Realität vor Ort nicht mehr so einen großen Kontakt haben. Deswegen ist auch ein wenig das Vertrauen zwischen der kommunalen Ebene und dem Freistaat verloren gegangen, weil man nicht ernst genommen wird.“
Was die Kosten antreibt
Auch hier lagen die Probleme in allen Kommunen gleich: Gut die Hälfte der Gelder in den Haushalten ist für Sozialleistungen gesetzt. Allein 167 Mio. Euro Ausgaben im Haushalt der Stadt Leipzig betreffen Leistungen, die der Freistaat und der Bund beschlossen haben, für die sie aber nur anteilig selbst aufkommen. „Es muss endlich wieder gelten: Wer bestellt, zahlt“, so Leipzigs Finanzbürgermeister Torsten Bonew. „Es kann nicht sein, dass sich Sachsen in seinem Haushalt an die Schuldenbremse hält und die Ausgaben stattdessen auf die Kommunen verschiebt.“
Weitere Problem-Posten: Die Kosten für die kommunalen Kitas und Kindergrippen. Sie explodieren immer weiter und seien auch durch eine weitere Erhöhung der Kita-Gebühren nicht mehr zu decken. „Damit ziehen wir uns den politischen Unmut zu, aber eine Erhöhung hilft nicht im geringsten“, so Zwickaus OB Constance Arndt. Die Landeszuschüsse zu den Kita-Gebühren decken die Mehrkosten schon lange nicht mehr.
Jahrzehntelang Rotstift?
Dippoldiswaldes Oberbürgermeisterin Kerstin Körner warnt, wenn sich die Finanzausstattung der Kommunen nicht bessere, werden freiwillige Aufgaben wie die Finanzierung einer Schwimmhalle, hinten runter fallen: „Unser Hallenbad ist Anfang der Neunziger Jahre gebaut worden. Wir haben versucht, immer noch was reinzustecken, damit es weiter funktioniert. Aber irgendwann muss ich den Schlüssel rumdrehen - das ist eine freiwillige Aufgabe. Ja, dann fällt der Schul-Schwimmunterricht für alle Gemeinden um uns herum weg, aber die 17 Millionen können wir auch nicht aus reiner Nächstenliebe stemmen“, so Körner.
Auch die Personalkosten erdrücken mittlerweile die Kommunen, die durch neue Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst plötzlich Millionen-Beträge nachschießen müssen.
Landkreise auch fast pleite
Weil die Landkreise selbst keine Steuern erheben können, holen sie sich das Geld für ihren eigenen, klammen Haushalt bei ihren Kommunen über die Kreisumlage. Der Prozentsatz der Pflichtabgabe aus dem Kommunalhaushalt steigt immer weiter. Dass das kein Zukunftsmodell ist, erklärte Rico Anton, Landrat im Erzgebirge, anschaulich. Sein Landkreis werde bis 2029 insgesamt 388 Mio. Euro über Kredite finanzieren müssen. Allein die Zinslast dafür beliefe sich, Schätzungen zufolge, dann auf 9 Mio. Euro pro Jahr! „Und jetzt raten Sie mal, wie wir die Zinsen für diese Kassenkredite finanzieren? Durch neue Kredite - wie denn sonst“, so Anton. Innerhalb von nur fünf Jahren habe sich die Pro-Kopf-Verschuldung im Erzgebirge mit 1000 Euro pro Person verzehnfacht. Und es bräuchte bis ins Jahr 2109, um die Kredite zu tilgen. Anton schlussfolgert: „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht ins Systemversagen zusteuern.“
Vom Freistaat bzw. dem Finanzministerium erfolgte bisher keine Reaktion auf die Vorwürfe.
